Ach, wirklich — nur Rußland?

von LePenseur
 
 
Bei Hannah-Arendt.de erschien unter dem griffigen Titel »Gesetzloses Russland« ein Artikel, den ich trotz Urlaubserholung nicht umkommentiert lassen möchte:

Deutschland und Russland teilen die Besonderheit, sich in politischen Krisenzeiten für Anführer zu begeistern, die aus einer lösbaren Herausforderung durch ihre heraus-ragenden Fähigkeiten erst eine um ein Vielfaches potenziertere Katastrophe machen können. [...]

Russlands gegenwärtiges Problem ist nicht der Westen. Russlands Problem sind auch nicht die USA oder der propagandistische Popanz NATO-Osterweiterung. Noch schwach-sinniger ist die von von etlichen Nostalgie-Konservativen nach dem Motto, der Feind meines Feindes muss mein Freund sein, dogmatisch verbreitete Ansicht, Russland hätte eine konstruktive Antwort auf die zweifellos drängenden Dekadenzprobleme des Westens. Russlands Problem ist ausschließlich Russland selbst.

Manchmal fragt man sich etwas ratlos, was sonst durchaus vernünftig argumentierende Menschen dazu bringt, regierungsamtliche Narrative kritiklos zu übernehmen! Aber offenbar gibt es blinde Flecken im kritischen Blick, die nicht behebbar sind, weil sie nicht einmal als solche erkannt werden. Ich reagierte auf den Artikel mit einem Kommentar, der vielleicht — hoffentlich! — die Perspektive wieder etwas »gerade richten« kann:
 
Cher M. Boris Blaha,

darf ich Ihre geneigte Aufmerksamkeit auf folgenden Textverweis lenken?

https://www.rubikon.news/artikel/gefahrliche-meinungsausserung
Vielleicht veranlassen Sie solche Vorgänge, Ihre Meinung über Rußlands Gesetzlosigkeit ein bißchen auszuweiten: auf den »Wertewesten« nämlich. In dem ganz ungeniert Ärzte, die wider den COVID-Maßnahmen-Stachel löcken, von Polizei und Steuerfahndung zur Räson gebracht werden, in dem im Herzen Deutschlands ein Richter, der es wagt, dem Corona-Narrativ der Regierung in einem Urteil zu widersprechen, mit einer Hausdurchsuchung und Androhung von Disziplinarmaßnahmen gebrochen werden soll. Im selben Herzen Deutschlands wird die Wahl eines liberalen Ministerpräsident »par ordre de moufti« von der damaligen Bundeskanzlerin als »nicht hinnehmbar« annulliert usw. usf.

Und wenn man die Fälle Snowden und Assange ansieht: das gibt es nicht bloß in Mitteleuropa, das funktioniert auch in den anderen ach-so-»rechtsstaatlichen« Ländern des »Wertewestens« ganz perfekt! Und enttarnt damit Ihr vollmundiges
"Allen europäischen Ländern, mal früher mal später, mal dauer-, mal wechselhafter, gelang es, das destruktive Potential dieses a-politischen Phantasmas durch eine Re-Politisierung wieder zu entschärfen, mit einer Ausnahme: Russland."
als naiv-voreingenommene Wunschvorstellung. Nur zur Klarstellung: ich selbst bin — seit vielen Jahr-zehnten — Jurist und habe im Verlauf meines langen Berufslebens als Parteienvertreter nur zu genau mitbekommen, wie heuchlerisch (oder unfaßbar blauäugig) die Vorstellung eines funktionierenden Rechtsstaates hierzulande ist. Ja, zwischen zwei »Otto-Normalverbrauchers« wird das Gericht, je nach Geschick der Anwälte, zu mehr oder weniger  brauchbaren Urteilen kommen. Doch selbst da ist die Willkür der Gerichte (mit der bspw. Beweise zugelassen werden oder nicht) oft geradezu unfaßbar. Aber sobald die Machtbalance verschoben ist — hier Staat, dort »Untertan« — können Sie den angeb-lich so hochzupreisenden Rechtsstaat in der Pfeife rauchen. In unserer »Rechtsordnung« um keinen Deut weniger als im bösen, gesetzlosen Rußland. 

Ob es was helfen wird? Nun ja — »Die Hoffnung stirbt zuletzt«, wie der russische Volksmund sagt ...

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