»Ich habe immer versucht, in einem Elfenbeinturm zu leben; doch eine Flut von Scheiße schlägt an seine Mauern, so dass sie einzustürzen drohen.«
(viertes Rauchzeichen aus dem Urlaub)
von LePenseur
Inzwischen kenne ich das schon: immer dann, wenn ich auf Urlaub gehe und mal kurz — auch von diesem Blog — abschalten will, passieren Dinge, die mich dann doch zum Kommentar drängen. Und nun heute sogar schon zu einem weiteren »Rauchzeichen« (wie ich sie, mich und vor allem LaPenseuse beschwichtigend, zu nennen pflege ...)
Martin Walser also. Schon vor drei Tagen, aber erst jetzt soeben erfahren. Fernab von meiner Bibliothek kann ich hier im Süden nur in Gedanken die stattliche Reihe an Büchern, die ich von ihm besitze, nachdenklich betrachten und überlegen, was mir, nein: uns allen im deutschen Kultur- und Geschichtsraum jetzt fehlen wird. Und spontan kommt mir jener berührende Satz in den Sinn, den vor über zehn Jahren ein Mitstreiter von »Zettel« ans Ende seines Nachrufs auf diesen gesetzt hat:
Wo viel fehlt, da bleibt auch viel.
Als Artikelüberschrift wählte ich jenes Zitat von Flaubert, das der schätzenswerte Professor emeritus Silvæ in seinen Nachruf einflocht:
Walser hatte als Autor viele gegen sich, die FAZ und die Bild Zeitung. Wahrscheinlich hätte ihm der Satz gefallen, den Flaubert 1872 an Turgenjev schrieb: Ich habe immer versucht, in einem Elfenbeinturm zu leben; doch eine Flut von Scheiße schlägt an seine Mauern, so dass sie einzustürzen drohen.
... und besser kann man Martin Walsers
— nein: aller Denkenden — Situation in unserer Zeit kaum auf den Punkt bringen. Und der Spürsinn von Silvæ gehört dazu, das Zitat zu finden (genau das ist es auch, was ich an ihm so schätze — auch wenn wir in vielen, vielleicht sogar den meisten Dingen durchaus unterschiedlicher Meinung sein dürften ...).
Dennoch: meine Leseempfehlung ist keineswegs bloß dem Umstand geschuldet, daß ich urlaubsbedingt passen müßte, sondern weil sie sehr vieles von dem ausformuliert, was ich in all den Jahren Walser-Lektüre mir oft nur in confuso gedacht habe. Und noch eines: Silvæ findet und erwähnt aus dem Opus Walsers genau jenen Roman (obwohl er ganz allgemein über die Qualität von Walsers Romanen sich skeptisch äußert) als »gelungen«, den ich auch als gelungen, ganz und gar gelungen, ansehe: Brandung.
Aber ich bin eine Minderheitsmeinung, ich bin nicht Reich-Ranicki. Glücklicherweise nicht.
... setzt er ein wenig süffisant hinzu. Vielleicht ziemt sich Süffisanz nicht in einem Nachruf, mag sein. Aber manchmal ist sie unvermeidlich. Wenn man auf Walsers Umgebung blickt (nicht bloß auf jenen einstigen Großkritiker ...), jedenfalls.
Daß der Verstorbene Ernst Jünger geschätzt hat, überrascht mich (im Gegensatz zu Silvæ) nicht. Die Landschaft des Bodensees fördert offenbar widerständige Einzelgänger, und solche finden an einander Gefallen — wobei ich nicht weiß, ob Jünger seinerseits Martin Walser geschätzt hat. Man müßte wohl seine Tagebücher dazu durchforsten (was mir derzeit verwehrt ist), aber möglich wäre es durchaus ...
Ich kehre zum Ausgang zurück: Martin Walser also. In seinem hohen Alter nicht überraschend. Und doch betroffen machend. Und bestätigend, was der Professor an das Ende seines Nachrufs setzte — den skeptisch-spöttischen Satz des Verstorbenen über sein Schaffen: Meine Arbeit: Etwas so schön sagen, wie es nicht ist.
Wie wahr.
Möge ihm die Erde leicht sein ...
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