Schloss Hardenberg war mal ein Museum für moderne Kunst. Reiner Ruthenbeck war da, Robert Lebeck, der legendäre Fotograf vom Stern, auch Thomas Ruff, der später auf der Biennale in Venedig gefeiert wurde. Er hatte in Neviges seine erste Ausstellung. Sogar Karl Lagerfeld gab sich die Ehre. Reiner Ruthenbeck ist übrigens Velberter, genau wie Willy Fleckhaus, der berühmte Artdirector der twen, und Friedrich Küppersbusch, der jeden Montag den Lesern der taz verrät, was die Borussen gerade machen.
Viele Künstler starteten im Kaff und landeten in Kassel. Die Museumsfrau holte die besten Leute – aber der große Erfolg blieb aus, weil die Nevigeser die Ausstellungen mieden wie der Teufel das Weihwasser und die Velberter lieber in der Fußgängerzone einkaufen gingen. Zu den Eröffnungen kamen viele Leute von weither, danach war tote Hose. Geld für Werbung war nicht da. An manchen Tagen war man alleine in der Ausstellung mit Frau Freitag, die im Schloss wohnte und Mädchen für alles war. Museumswärterin, Hausmeisterin und Kunstkennerin. Sie wusste alles, konnte jedoch nicht sagen, warum bei der Kunst zuerst die Höhe eines Bildes und dann die Breite angegeben wird. Ihre Chefin hat auch gerätselt: wie die meisten. Man konnte sich stundenlang mit Frau Freitag unterhalten – es kam kein Mensch. Würde heute mit Facebook sicher besser laufen, geht aber nicht mehr, weil Schloss Hardenberg gerade renoviert und saniert wird. Seit zwölf Jahren.
Das ehemalige Wasserschloss stammt aus dem 13. Jahrhundert. Es gab einen Wassergraben, eine Zugbrücke und eine Rüstungskammer – und 1785 einen Großbrand. Danach wurde umgebaut. Dauerte nur ein Jahr, obwohl der Schaden verheerend war. Was man nicht brauchen konnte, schmiss man in den Wassergraben. Danach war das Wasserschloss kein Wasserschloss mehr, sondern bloß noch ein Schloss. 1908 zog eine Kneipe ein. Mit Biergarten und Bootsverleih auf dem Schlossteich.
1964 wurde umgebaut. Aus dem Rittersaal wurde ein Sitzungssaal für den Nevigeser Stadtrat. 1975 begann das Übel: Neviges und Langenberg, die reichen Orte, wurden mit der Arbeiterstadt Velbert zusammengelegt. Die neue Stadt heißt seitdem Velbert. Ein Fehler. Die Velberter sind die Herren – und pleite. Man hätte der neuen Stadt einen hübscheren Namen geben können. Zum Beispiel Niederberg. Die Stadt nebenan hat gezeigt, wie das geht: Aus Barmen, Elberfeld und Vohwinkel entstand Wuppertal. Ist zwar ebenfalls pleite, aber der Name ist schon schön.
2004 wurde das Schloss dichtgemacht. Keine Kunst mehr, keine Konzerte und auch das Stadtarchiv in der oberen Etage musste raus. Das Schloss war baufällig. Angeblich. Vielleicht war ja der vorbeugende Brandschutz mit im Spiel, vielleicht war das Schloss nicht geeignet für Rollstuhlfahrer. Vielleicht wollte man es einfach loswerden. Es gab Ideen: ein Hotel mit Anbau, ein Kindermuseum, eine Kooperation mit dem Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum. Die grafische Sammlung sollte rein. Wurde alles nix. Auf den Gedanken, das Schloss- und Beschlägemuseum von Velbert nach Neviges zu holen, ist kein Mensch gekommen.
Irgendwann war das Bauschild weg. Kein Geld mehr da oder keine Lust weiterzumachen. Das entkernte Gebäude ist nur noch eine Attrappe. Sieht von außen ganz nett, von innen jedoch wie nach einem Dronenangriff aus. Um Geld beantragen zu können, müsste man wissen, was mit dem Gebäude später passieren soll. Viele Nevigeser über dreißig, da ist man sich einig, werden die Eröffnung nicht mehr erleben. Den anderen ist das Schloss egal. Sie waren früher auch nie drin.
Die Kunst hängt seitdem in den Schaufenstern leer stehender Geschäfte. Hat nix mit der Kunst im alten Museum zu tun und schon gar nix mit Können, dagegen mit Mühe und Hingabe, Sonnenuntergängen, Blümchen, verschleierten Frauen, Hunden, Katzen, Kästchen und Kringeln. Wenn bloß die doofen Vermietungsplakate nicht wären und die Vermieter, die sich für Kunst nicht die Bohne interessieren. Sobald ein Mieter da ist, fliegt die Kunst raus.
Norbert Molitor: Im Kaff der guten Hoffnung, Piper Verlag, 2016
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