von LePenseur
Vor beinahe hundert Jahren, genauer: im Jahr 1928, hat Erich Kästner dieses mit Recht berühmt gewordene Gedicht veröffentlicht:
Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!Dort stehn die Prokuristen stolz und kühnin den Büros, als wären es Kasernen.Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe.Und unsichtbare Helme trägt man dort.Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe.Und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort!Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will- und es ist sein Beruf etwas zu wollen -steht der Verstand erst stramm und zweitens still.Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrat rollen!Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporenund mit gezognem Scheitel auf die Welt.Dort wird man nicht als Zivilist geboren.Dort wird befördert, wer die Schnauze hält.Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein.Es könnte glücklich sein und glücklich machen?Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Steinund Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.Selbst Geist und Güte gibt's dort dann und wann!Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen.Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann.Das will mit Bleisoldaten spielen.Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.Was man auch baut - es werden stets Kasernen.Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!
Keine Frage: das Gedicht ist heute aktueller denn je - so veraltet es vor ein paar Jahrzehnten zu sein schien! Sicher: manches Wort, manches Bild ist durch technische und gesellschaftliche Änderungen überholt. Kein Kind will mit Bleisoldaten spielen, wer zu Bett geht, pflanzt sich (es gibt ja die Pille) nicht zwangsläufig fort und Kinder werden nicht mit gezogenem Scheitel geboren, nicht mal metaphorisch ...
Aber vieles stimmt leider schon wieder, besonders der Vers:
Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.
Was "grün" ist, ist eben nicht Freiheit, sondern einfach - ungenießbar! ... Erich Kästner, des Todestag sich heute zum 50. Male jährt, war ein Prophet.
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